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Hände unabhängig bewegen? Worauf es wirklich ankommt – KlavierKranich

  • Beitrags-Kategorie:Lernen & Methodik
  • Lesedauer:5 min Lesezeit

Bei versierten Klavierspieler*innen sieht es oft so aus, als würden sie ihre beiden Hände unabhängig voneinander bewegen können. Man kriegt den Eindruck, die Unabhängigkeit der Hände sei eine Voraussetzung, um sich an das Stück zu wagen – vorallem beim Anblick der Noten von schwierigen Stücken. Daraus entsteht bei vielen Neueinsteigern der Eindruck, dass «Hände unabhängig bewegen» eine Fähigkeit ist – oder gar ein Talent. Heute lösen wir diesen Mythos auf und lernen stattdessen, wie wir Klavier beidhändig spielen lernen können, ohne die «Unabhängigkeit der Hände» üben zu müssen.

Hände unabhängig bewegen wäre Multitasking

Unser Gehirn ist des Multi-Taskings nicht fähig. Wir können nicht «mehrspurig fahren» und zwei (oder mehr) Dinge gleichzeitig ausführen. Wir können mehr oder weniger schnell zwischen verschiedenen Tasks hin und her wechseln, um uns Mehrspurigkeit vorzutäuschen – etwa mit Kochen, Telefonieren, Facebook-Checken und Lesen. In Wahrheit finden die Tasks nicht parallel statt, sondern verstückelt hintereinander.

Klavier beidhändig spielen lernen funktioniert anders

In Wahrheit haben Klavier-Virtuos*innen also nicht die «Unabhängigkeit der Hände» geübt, sondern im Gegenteil – die Abhängigkeit. Oder besser gesagt den Zusammenhang der Hände. Denn, wie die verstückelten Mini-Tasks beim scheinbaren Multitasking, so verstückelt unser Gehirn beim Klavierspiel die Notenabfolgen. Es klingt für uns wie zwei parallele Melodien, eine Melodie von der linken und eine von der rechten Hand gespielt, aber fürs Gehirn ist es eine Abfolge aus Zusammenhängen zwischen linker und rechter Hand.

So sieht unser Motorik-Hirn die Musik

Schauen wir uns das Klavierstück des ultra-bekannten Films fabelhafte Welt der Amelie an. Für den musikalischen Ausdruck sehen wir sofort einen Melodiebogen in der rechten Hand, der zwei Doppel-Phrasen spielt mit je einem «Ta-da-dam, Ta-da-daam». Bei der linken Hand sind es Achtel-Noten, die wie ein Uhrwerk immer dasselbe Muster wiederholen.

Hände unabhängig bewegen: Amelie 1 Für Anfänger*innen wäre jetzt fatal, zu denken, dass es darum geht, das Uhrwerk der linken Hand und die Melodiebögen der rechten Hand unabhängig voneinander spielen zu können. Es geht hier darum, das Stück so anzuschauen, wie es das Gehirn anschaut – als einspurige Sequenz.

Hände unabhängig bewegen: Amelie 2 Überall, wo die grünen Linien eingezeichnet sind, spielen die linke und die rechte Hand gleichzeitig einen Ton. An allen anderen Stellen spielt entweder die linke oder die rechte Hand alleine. Es ist hilfreich, sich das beim Üben zu veranschaulichen, weil das Stück danach so geübt werden kann, wie es das Gehirn sowieso lernt (weil es gar nicht anders kann).

Hände unabhängig bewegen in drei Schritten

Als erstes musst du die linke und die rechte Hand alleine lernen. Das ist ein linearer Prozess in sich, du lernst eine Passage, z.B. diese zwei Takte, und gewöhnst dich an die Töne, den Rhythmus und die Fingersätze.

Als zweites lernst du die «Abhängigkeit» der Hände und zwar so: Wenn du das Stück unerträglich langsam spielst, dann haben deine Hände die Chance, an der richtigen Stelle zusammen zu spielen (grüne Linien). So bilden sich Verbindungen im Gehirn: Du lernst die Zusammenhänge zwischen den Tönen der linken und der rechten Hand.

Als drittes kommt dein Ausdruck in der Musik: Nachdem du die Zusammenhänge hergestellt hast und die zwei Takte im richtigen Rhythmus spielen kannst, kannst du mental wieder in die Zweispurigkeit wechseln. Du arbeitest ab dann nicht mehr an der Koordination der beiden Hände und auch nicht daran, die richtigen Töne zu spielen, sondern mehr an der Dynamik und am Ausdruck. Übrigens habe ich ein paar Tipps für dich, wie du mit mehr Ausdruck spielen kannst.

Linke und rechte Hand zusammenführen – die Methode

Wenn du dir fürs Zusammenspiel beider Hände noch mehr Anleitung wünschst, mit Noten, Video-Tutorials und vielen Beispielen, kann ich dir das «Left Hand Practice» Online-Training ans Herz legen. Dieser Kurs ist für Menschen, die autodidaktisch Klavier lernen und eine solide Methodik brauchen, damit sie das Zusammenspiel beider Hände erfolgreich üben können.

Left Hand Practice

Weitere Infos zum «Left Hand Practice» Online-Training

Artemi

Als Klavierlehrer ist Artemi leidenschaftlich dabei, das Know-How um das freie Klavierspiel für alle Tastenbegeisterte frei zugänglich zu machen. Jede und jeder soll Klavier spielen lernen können – kostenfrei und unkompliziert. > mehr über Artemi

Dieser Beitrag hat 8 Kommentare

  1. Benno

    Die grünen Linien sind mein persönlicher Erfolgs-Schlüssel. Bin 64 und habe vor 3 Monaten das erstmal in meinem Leben ein Klavier berührt und gelernt für was die Noten-Döggel überhaupt sind. Inzwischen habe ich alles über links / rechts Koordination im Internet gelesen und probiert. Alles hilft … ein bischen … oft erst in 3, 4 Tagen und nur in ganz, ganz kleinen Schritten aber immerhin. Wenn links und rechts alleine gut geht, spiele ich nur noch die gemeinsamen Töne von links und rechts, immer im gleichen Takt und immer schneller. So müssen die Augen zwei Zeilen lesen und die beiden Hände und deren Finger steuern. Erst nach diesem Schritt gehe ich zur Melodie, so langsam wie nötig, zurück. Mit Ausnahme der allerersten Fingernummer pro Hand, muss ich immer auch alle Fingersatz Nummern weg Tip-Exen, ansonsten sind es für mich zu viele Informationen gleichzeitig.

  2. JoergW

    Hallo Artemi!
    Besonders beim langsamen Üben scheint mir, dass bei der linken Hand (Bassschlüssel) im *zweiten* Takt die *dritte* (und ggf. siebente) Note ein fis statt g gespielt werden müsste?
    Beim schnellen Spiel (originale Geschwindigkeit ca. 100 viertel Schläge/min) fällt das wenig auf, aber beim von Dir vorgeschlagenen, extrem langsamen Üben klingt es zusammen mit der linken Hand "schräg".
    Übersehe ich da was?

    1. Artemi

      Lieber Jörg
      Ich verstehe was du meinst! Zwischen dem G in der linken und dem Fis in der rechten Hand entsteht eine Reibung, die beim langsamen Spiel unangenehm sein kann. Genau solche Reibung macht aber oft die schönheit der Musik aus und ist im richtigen Kontext und beim richtigen Tempo nicht mehr schräg.

  3. Reinhard Niessner

    Hallo Artemi,
    Du hast, wenn ich mich richtig erinnere, schon einmal dem Tipp gegeben: zuerst die linke dann die rechte Hand und dann zusammenführen. Das funktioniert, weil ich mir das schon selbst gedacht habe: ich muss im Rhythmus darauf achten, welche Noten gleichzeitig zu spielen sind…das ist die Lösung.
    Aber ich habe noch ein großes Geheimnis, wie man noch lernen kann:
    Ich habe ein Musikprogramm und da gebe ich alles was ich gern spielen lernen möchte als Noten ein. Dann höre ich mir da viele male an. Mit dem Wiedergabepult kann ich Abschnitte und Geschwindigkeiten verändern.
    Dann setze ich mich zum E-Piano und lerne Abschnitt für Abschnitt…
    …und nch einigen Tagen kann ich das Stück spielen, wenn es nicht zu Umfangreich ist:-)
    Ich komme so gut voran.
    Mit leben Grüßen
    Reinhard

    1. Artemi

      Lieber Reinhard
      Das ist eine etwas aufwändige, aber tolle Methode. Innovativ! Die Tomplay-App bietet diese Funktion übrigens auch an, vollautomatisch. Finde ich super praktisch: einfach ein paar Take anwählen und in der Schlaufe spielen lassen, im beliebigen Tempo. Dann dazu üben. Siehe hier: https://klavierkrani.ch/tomplay-erfahrungen-test-und-bewertung/

  4. Treju

    Dann mach ich es ja doch nicht falsch! 🙂 Ich habe ganz automatisch die Hände immer in Anhängigkeit zueinander geübt, weil das viel einfacher ist. Nur leider habe ich jetzt eine Übung, bei der das irgendwie nicht funktionieren will. Deshalb dachte ich, jetzt ist der Moment gekommen, wo ich mich nicht mehr durchmogeln kann und "ordentlich" unabhängig spielen lernen muss … und es funktioniert so gar nicht.

    Die Übung steht im 4/4 und hat mit der linken Hand nur Viertelnoten, mit der rechten Hand abwechselnd punktierte Viertel und Achtelnoten. Ich hab schon statt linke Hand das Metronom genommen aber ich kriegs einfach nicht hin. Rechte Hand alleine funktioniert super, solange ich nicht das Metronom im Ohr hab. Ich glaube ich muss es wirklich noch "schneckiger" spielen als bisher. Zumindest brauch ich mich jetzt nicht mehr sinnlos damit abzumühen die Hände gleichzeitig komplett einzeln zu spielen, wenn das eh nicht geht. 🙂

    1. Artemi

      Für mich klingt es danach, als hast du deine punktierte Achteln noch nicht ganz klar drin. Es nützt dir leider nichts, wenn du’s spielen kannst aber nur ohne Metronom. Das Metronom gibt das Grundraster vor und du musst deine Rhythmen IN RELATION ZUM METRUM spielen können, sonst wird das mit dem Zusammensetzen nicht klappen. Ich würde hier unbedingt das Metronom noch langsamer stellen und die punktierten Vierteln + Achteln mit dem Metronom üben bis das drin ist. Dein Körper muss "verstehen", wie dieses rhythmische Muster funktioniert. Was evtl auch helfen könnte, wäre dir vorzustellen, dass das Metronom nicht die Vierteln, sondern die Achteln spielt. Dann dauert die punktierte Viertel 3 Schläge lang und die Achtel einen Schlag lang. Und dann von dort aus aufbauen, d.h. schneller werden, irgendwann dann wieder von Achteln auf Vierteln wechseln etc.

  5. Regina

    Hallo Artemi,
    Dein Artikel über das Zusammenspiel beider Hände lässt mich endlich begreifen, wie man es richtig angehen muss, nämlich ein Stück unerträglich langsam zu spielen.
    Ich habe bereits zwei andere Online-Kurse gekauft, bevor ich auf Dich aufmerksam wurde und kann nicht immer noch mehr Geld ausgeben.
    Bei Dir habe ich zum ersten Mal den Quintenzirkel kapiert.
    Ich freue mich auch weiterhin auf Deine Mails.
    Vielleicht steige ich irgendwann noch bei Dir ein.
    Liebe Grüße
    Regina

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