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Pro-Tipps Klavier: Anschlag verbessern – 5 Anregungen für mehr Ausdruck

  • Beitrags-Kategorie:Technik & Ausdruck
  • Lesedauer:8 min Lesezeit

Du spielst Klavier und willst deinen Anschlag verbessern? Du willst präziser, ausdrucksvoller und dynamischer spielen? Geschmeidiger klingen? Diese 5 Tipps werden dir helfen, am Klavier deinen Anschlag zu verbessern.

1. Mentale Knoten aufdecken und auflösen

Hast du schon mal probiert, ein Lied gefühlvoll zu singen, das du noch nicht sicher beherrschst? Oder einen Tanz zu geniessen, dessen Schritte du noch nicht kannst? Vielleicht kommt dir das vom Klavier spielen her bekannt vor – zuerst müssen die Töne und Rhythmen sitzen, erst danach hat man den Kopf frei für Dynamik und Gefühl. Zuerst die Technik und dann die Musik.

Was oft vergessen wird, sind Stellen, bei denen wir das Gefühl haben, dass sie funktionieren, wo aber eigentlich noch ein «mentaler Knoten» sitzt. Oft sind es Übergangsstellen oder sonstige Stellen, wo der Zusammenhang zwischen linker und rechter Hand etwas anspruchsvoller ist. Man spielt dann diese Stellen scheinbar ganz OK, aber irgendwie ist man damit eigentlich nicht zufrieden.

Solche Stellen findest du in den meisten Fällen, wenn du das Stück im halben Tempo spielst und dir vornimmst, es «ehrlich» zu spielen. Erlaube es dir zuzugeben, dass es diese Stellen gibt, die du nicht gerne spielst – aus welchem Grund auch immer. Und löse den Knoten unbedingt auf! Das kannst du tun, indem du die Stelle ganz langsam übst und auch indem du Variationen davon machst. Betone z.B. jeden ersten oder jeden zweiten Ton oder spiele sie mit Swing oder absichtlich ganz leise oder ganz laut. Lerne sie kennen. Werde vertraut mit ihr.

Du wirst merken, dass eine ehemals «unbequeme» Stelle nach einem intensiven Kennenlernen auch einfacher ist, schön zu spielen. Dein Anschlag verbessert sich von selbst.

2. Starke Finger klingen besser

Mein Klavierlehrer hat mir immer gesagt, ich soll die Tasten nicht drücken sondern zupfen. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich verstanden habe wieso: Das stärkt die Fingermuskeln. Wenn ich die Finger beim Spielen flach halte, oder gar die Fingergelenke «durchknicken» lasse, trainiere ich die Finger nur halb bis gar nicht. Beim Zupfen der Tasten werden alle Fingermuskeln gleichmässig trainiert.

Wieso Fingertraining? Trommelwirbel… Weil es das Handgelenk entlastet. Je straffer die Finger sind, d.h. je mehr sie wie «Haken» oder «Anker» sich an den Tasten halten, desto lockerer kann das Handgelenk und der ganze Arm sich bewegen. Und das bedeutet mehr Dynamik und mehr Lebendigkeit für dein Klavierspiel. Wenn die Finger die Tasten nur unsicher „greifen“, muss der Arm und vor allem das Handgelenk kompensieren. Ein angespanntes Handgelenk macht einen steifen Anschlag und erlaubt wenig Ausdrucksfreiheit im Vergleich zu einem freien Handgelenk.

3. Im Handgelenk locker bleiben

Wenn die Finger stark sind und sich gut an der Tastatur «anhängen», kann sich das Handgelenk also mehr entspannen. Tut es das denn auch? Wie viel Freiheit gibst du deinen Handgelenken? Wie frei sind deine Schultern und Arme beim Spielen?

Fokussiere dich bei einer Passage, die du gut kennst oder bei einer Tonleiter, die du auswendig spielst, auf dein Handgelenk. Halte immer wieder an und prüfe mit der anderen Hand, ob es locker hängt. In meinem kostenfreien eBook «Klavierspiel: Die perfekte Technik in 45 Minuten» zeige ich eine geniale Übung, mit der du lernen kannst, dein Handgelenk zu entspannen. Sie ist simpel, aber nicht ganz leicht umzusetzen, weil sie ein Umgewöhnen erfordert. Aber es lohnt sich: sie ist tatsächlich die einzige Handgelenk-Übung, die ich je gemacht habe.

4. In Bögen denken

Du kannst am Klavier auch deinen Anschlag verbessern, indem du dir die Noten, die du spielst, nicht als einzelne Töne vorstellst, sondern als Phrasen bzw. Spannungsbögen. Manchmal sind solche Phrasen sogar explizit mit Bögen ausnotiert (sog. Phrasierungsbögen), wobei es oft nur Vorschläge sind und du die Bögen auch selbst interpretieren kannst.

Technisch gesehen bedeutet ein Bogen, dass die Töne in der Mitte am lautesten und am schnellsten zu spielen sind und die Töne am Anfang und Ende eher leiser. Das entsteht beim bewussten ausschmücken einer Phrase automatisch. Ein Fehler, der oft gemacht wird, ist die Töne einer Phrase auf einen Höhepunkt hin immer lauter werden zu lassen – um dann am Ende beim lautesten Ton anzukommen.

Wenn es in einem Stück Bewegungen gibt, die sich scheinbar auf ein Ziel hinbewegen, ist es naheliegend, sich das Ziel am lautesten zu denken. Beispiel: die letzte Linie aus dem bekannten Chopin-Walzer in C#m. Wenn du dir die Noten anschaust, scheint es auf den ersten Blick logisch, dass die Phrase beim End-Ton – auch dem höchsten Ton der Phrase – am lautesten erklingen soll.

klavier anschlag verbessern chopin 1 TadadadadadadadaDADADAAAAM! Um diesem potentiellen Missverständnis vorzubeugen, wurde damals hier sogar explizit parallel zum Phrasierungsbogen eine Lautstärkegabel aufgemalt:

klavier anschlag verbessern chopin 2 Höre hier (z.B. ab Sekunde 0:56), wie Rubinstein diesen wichtigen Moment sanft und gefühlvoll umsetzt:

Was mir oft beim Üben geholfen hat, war mit den Bogen so vorzustellen:

  1. Er beginnt ganz leise und sanft, aber mit dem Wissen, dass er ganz gross wird.
  2. Er wird immer intensiver bis etwa 2/3, d.h. frühstens in der Hälfte des Bogens und spätestens kurz vor Schluss wird der intensivste – und damit der lauteste Ton gespielt.
  3. Am Schluss zieht sich die Intensität des Bogens zurück, bevor er ganz am Ende ankommt. Es wird wie ein sanftes Abfedern und gleichzeitig wie bereits eine Überleitung zur nächsten Phrase.

5. Meister-Tipp: Atmen

Der letzte Tipp, um beim Klavier-Spielen deinen Anschlag zu verbessern, ist auf die Atmung zu achten. Es mag etwas exotisch erscheinen, bei einem Nicht-Blasinstrument über die Atmung zu sprechen. Beim genauen Hinschauen müssen wir Klaviermenschen uns eingestehen, dass wir gegenüber den Bläsern den Kürzeren gezogen haben: Wenn du beim Spielen eines Instruments atmen musst, hast du den Vorteil, dass du dazu animiert wirst, dich mit dem Atemrhythmus auseinanderzusetzen. Oft wird darauf geschaut, dass du dort atmest, wo es musikalisch gesehen Sinn macht, d.h. nicht mitten in einer Phrase und nicht zu oft, aber auch nicht zu selten.

Ich würde nicht unbedingt vorschlagen, dass du jetzt bei jedem Stück einen fixen Atemrhythmus definierst, als wärst du ein*e Flötist*in. Was ich dir nahelegen möchte, sind zwei Sachen:

  • Sorge dafür, dass du atmest. Spiel dein Stück von A bis Z durch mit der Aufmerksamkeit auf deinem Atem. Atmest du entspannt durch das Stück durch oder gibt es Stellen, wo du anspannst und ggf. zu atmen aufhörst? Das wäre ein weiterer Hinweis für einen mentalen Knoten (Siehe Tipp 1 oben). Wenn du den Knoten auflöst, wird sich deine Atmung auch wieder freier bewegen.
  • Richte die Musik nach deinem Atem aus oder umgekehrt. Das heisst probiere beides aus: Spiel dein Stück einmal so wie du atmest. Dann spiele es nochmal und atme so wie du spielst. Du musst nicht genau verstehen was das heisst – probiere es aus und überlass es deinem Körper. Du wirst höchstwahrscheinlich merken, dass das Stück beim ersten und beim zweiten Mal unterschiedlich klingt. Was gefällt dir besser? Probiere es aus und finde deinen goldenen Mittelweg.

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Artemi

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